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Henry Wanyoike und Niels Bubel

Stell’ Dir vor Du wirst mit­ten in der Nacht auf­ge­weckt. Al­les ist dun­kel. Dei­ne Mut­ter er­mahnt Dich, auf­zu­ste­hen. Du pro­tes­tierst, weil sie sich ge­irrt ha­ben muss und Du wei­ter­schla­fen möch­test. Du drehst Dich um. Kur­ze Zeit spä­ter er­mahnt sie Dich er­neut. Dies­mal en­er­gi­scher. Lang­sam be­merkst Du das et­was nicht stimmt. Vor dei­nen Au­gen ist al­les schwarz.

Un­ge­fähr so hat es Hen­ry Wan­yoi­ke er­lebt. Im Al­ter von 21 Jah­ren hat er über­nacht sein Au­gen­licht ver­lo­ren. An­schlie­ßend fiel er in ein tie­fes Loch. Doch er raff­te sich wie­der auf und gab sei­ne Träu­me nicht auf. 5 Jah­re spä­ter über­rasch­te er bei den Pa­ralym­pics in Syd­ney in alle. Er ge­wann über die 5000 Me­ter, in­dem er als New­co­mer un­auf­halt­sam über die 12,5 Run­den al­len da­von stürm­te. Selbst sein Gui­de, der durch eine Krank­heit an­ge­schla­gen war, konn­te kaum mit­hal­ten, und Hen­ry zog ihn vor ju­beln­der Ku­lis­se freu­de­strah­lend ins Ziel.

Spä­tes­tens seit die­sem Mo­ment ist er ein Held. Hen­ry hat sei­ne Träu­me nach dem Ver­lust des Au­gen­lich­tes nicht auf­ge­ge­ben. Er hat schwe­re Zei­ten über­stan­den, in de­nen er am Bo­den zer­stört war. Sein Glau­be zu Gott gab im Selbst­ver­trau­en und sei­ne Freun­de ha­ben ihm ge­hol­fen, ein Le­ben mit sei­nem Han­di­cap zu meis­tern. Er wird in sei­nem Hei­mat­land und vor al­lem in sei­nem Wohn­ort Ki­ku­yu in der Nähe von Nai­ro­bi wie ein Su­per­star ge­fei­ert. Der Gold­me­dail­le folg­ten zwei wei­te­re und er stell­te Welt­re­kor­de auf den Di­stan­zen zwi­schen 5000 Me­ter und Ma­ra­thon auf. Die Lis­te sei­ner Er­fol­ge ist lang. Sei­ne Po­pu­la­ri­tät weiß der sym­pa­thi­sche Krie­ger zu nut­zen. Er baut sich mit dem Geld, was er bei Ver­an­stal­tun­gen ge­winnt, kein gro­ßes Haus für sich selbst. Er lebt im­mer noch in der klei­nen Hüt­te, in der er auf­ge­wach­sen ist. Er hilft vie­len hilfs­be­dürf­ti­gen Men­schen. Er in­iti­ier­te meh­re­re Pro­jek­te. Je­des Jahr im Juni ver­an­stal­tet er den “Hope for the fu­ture run”, bei dem 7000 Läu­fe­rin­nen und Läu­fer ge­nau­so aber auch Men­schen mit Han­di­caps in al­len Al­ters­klas­sen an den Start ge­hen. Hen­ry ver­half vie­len Fa­mi­li­en zu ei­ner Kuh, die sie mit Milch ver­sorgt. Er er­mög­lich­te vie­len Kin­dern wich­ti­ge Ope­ra­tio­nen und er bau­te ein Wai­sen­haus — das “House of Hope”.

Auch in Deutsch­land fand Hen­ry vie­le Freun­de. Hier wird er re­spek­tiert. Er ist so schnell wie Deut­sche Spit­zen­läu­fer. Es wur­de der Ver­ein “Henry4Gold” für ihn ge­grün­det. Der Ber­li­ner Oli­ver Kusch war Grün­dungs­mit­glied die­ser Ge­mein­schaft von För­de­rern. 2006 er­schien das Buch “Mein lan­ger Lauf ins Licht — Der schnells­te blin­de Ma­ra­thon­mann der Welt er­zählt sein un­glaub­li­ches Le­ben” von Bengt Pflug­haupt, wel­ches ich mit gro­ßem Stau­nen las.

Zu­sam­men mit mei­nem Trai­nings­part­ner Lenn­art Spo­nar fuh­ren wir 2007 zu ei­nem Halb­ma­ra­thon nach Han­no­ver. Dort traf ich Hen­ry zum ers­ten Mal. Lenn­art über­nahm die Rol­le des Gui­des. Nach dem Lauf war er to­tal fas­zi­niert: “Hen­ry läuft als hät­te er Ra­dar.” Und es ist wirk­lich un­glaub­lich, wel­che Fä­hig­kei­ten Hen­ry hat. Vie­le fra­gen mich: “Ist Hen­ry wirk­lich blind?” Das ha­ben Un­ter­su­chun­gen er­wie­sen und ich kann es auch be­stä­ti­gen. Nur hel­les Licht und Schat­ten kann er von­ein­an­der un­ter­schei­den. Er lässt sich sein gro­ßes Han­di­cap nicht an­mer­ken. Er sieht mit dem Her­zen — das macht ihn so stark. Hen­ry Wan­yoi­ke hat die Gabe, an­de­ren mit sei­ner un­ver­gleich­li­chen Art Mut zu ma­chen. Des­halb wird er auch als “Good­will Am­bassa­dor — Der Mut­ma­cher” be­zeich­net. Auch mich hat er bei je­dem Tref­fen im­mer wie­der auf’s Neue mo­ti­viert. Seit 2009 ist er Teil des Run of Spi­rit im Evan­ge­li­schen Jo­han­nes­stift. Die­ses Jahr wird er zum 5. Mal als Eh­ren­gast emp­fan­gen. Ge­mein­sam soll mit Spen­den der Kü­chen­bau in dem House of Hope er­mög­licht wer­den.

Be­reits im Fe­bru­ar kam der Do­ku­men­tar­film “Gold — Du kannst mehr als du denkst” in die Ki­nos”. Dar­in wird der Weg von drei Ath­le­ten mit Han­di­caps zu den Pa­ralym­pics in Lon­don 2012 ge­zeigt. Ei­ner von ih­nen ist Hen­ry Wan­yoi­ke. Ohne Hilfs­mit­tel und völ­lig un­ab­hän­gig Sport zu trei­ben ist kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit. Der Film regt zum Nach­den­ken an. Sind kör­per­li­che Han­di­caps ein Hin­der­nis sei­ne Träu­me zu ver­wirk­li­chen? Wol­len Men­schen mit Be­hin­de­run­gen Mit­leid ent­ge­gen­ge­bracht be­kom­men?

Für mich ist Hen­ry ein gro­ßes Vor­bild. Von sich selbst sagt er: “Ich habe die Fä­hig­keit zu se­hen, aber nicht mei­ne Vi­sio­nen ver­lo­ren.” Sei­ne Fröh­lich­keit ist an­ste­ckend. Er hat im­mer ein La­chen auf den Lip­pen und ver­zau­bert so sei­ne Mit­men­schen. Ich bin mir si­cher, dass sei­ne Er­folgs­ge­schich­te wei­ter­ge­hen wird. Ich habe ihn fest in mein Herz ge­schlos­sen.

Zum Vi­deo: Henry’s Pa­ralym­pics-Qua­li­fi­ka­ti­on 2012
Zum Ar­ti­kel: Emo­tio­nen pur beim 5. Run of Spi­rit