Als ich im Jahr 2007 ernsthaft mit meinem Lauftraining begonnen hatte, nahm mich mein Trainer nach wenigen Wochen zur Seite und sagte zu mir: “Niels, dass die Olympischen Spiele nicht in Reichweite sind, ist ja klar. Was sind deine Ziele?” Da war ich erstmal ganz schön verblüfft. Klar, ich hatte nicht das große Talent wie vielleicht andere und war mit fast 20 Jahren auch nicht das Küken in der Trainingsgruppe. Aber ich wollte immer schneller werden und mir anfangs überhaupt kein Limit setzen. Marathon — das war die für mich bis dahin reizvollste Strecke. Es war zugleich auch die längste für mich bekannte Strecke, die in einem Wettkampf angeboten wird. 2005 war ich sie ohne spezielles Marathontraining gelaufen und in Berlin nach 3:48 Stunden ins Ziel gekommen. Seit diesem Tag wollte ich wissen, wie schnell ich es mit Training schaffen kann. Und nun stand mein Trainer vor mir und setzte mir eine Grenze, die ich seiner Ansicht nach nicht erreichen könnte. Das tat weh. Es entmutigte mich aber nicht. Ich sah keinen Grund für sein Urteil. Er hatte mich angestachelt. Das Feuer in mir bekam einen neuen Sauerstoff-Stoß. Ich fing an mir eine Strategie zu überlegen, meine Zwischenziele zu konkretisieren und immer öfter zu laufen.
Irgendwann wurde mir bewusst, dass das Laufen bei der Marathonmarke noch nicht zu Ende sein muss. Es gibt noch längere Läufe. Diese Strecken sind zwar nicht olympisch, haben dafür jedoch ihren ganz eigenen Charakter. Nach der Lektüre des Buches “Laufen” von Bernd Heinrich, das mir die Mutter meines heutigen Trainers schenkte, war meine Leidenschaft für das Ultramarathonlaufen geweckt. Mein Feuer für das Lauftraining wurde immer kräftiger und heißer.
Nachdem ich meinen Weg als Laufneuling gegangen war, mein Umfeld auf den Leistungsport ausgerichtet und die vielfältigsten Erfahrungen gesammelt hatte, war es letztes Jahr soweit. Im Februar 2014 bestritt ich meinen ersten Ultramarathon. Es waren die Deutschen Meisterschaften über 50 Kilometer in Kienbaum.
Ich hatte keine Ahnung was mich erwarten würde. Ich kannte die Ultramarathonlaufszene überhaupt nicht. Andersherum war auch ich ein Unbekannter in der Szene. Das war vermutlich mein Vorteil bei meinem Debüt auf der kürzesten der Ultralaufstrecken. Ich ging unbefangen aber mit gehörig Respekt vor der Streckenlänge ins Rennen. Dieser Respekt zahlte sich aus. Ich kam ins Ziel und wurde sogar auf Anhieb Deutscher Meister. Für mich war seitdem klar, dass der Ultramarathonlauf mein Ding ist. Diese besondere Leidenschaft für das Ungewöhnliche jenseits des Marathons, das ich im Buch von Bernd Heinrich entdeckt hatte, fand ich auch bei mir wieder. Ich hatte mein erstes Ziel erreicht und ich hatte noch nicht genug. Viele fragten mich, ob ich bald auch 100km laufen würde. Mit der Antwort zögerte ich — nicht, weil ich nicht 100km laufen wollte, sondern weil ich nicht wusste, wann ich dazu bereit sein würde. Meine ersten 50km waren sozusagen nur ein Test gewesen. Auf den nächsten 50km-Lauf wollte ich mich deutlich gezielter vorbereiten. Meinen Trainer, Volkmar Scholz, musste ich zu keiner Sekunde von meinen Plänen überzeugen. Er selbst war Geher gewesen — von Kopf bis Fuß — und 50km waren seine Distanz. Ich kann also auch von seinen Erfahrungen profitieren. Von meinem ersten Erfolg über 50km waren glücklicherweise auch andere aus meinem Verein „Die Laufpartner“ inspiriert. So kam es, dass ich mich für meinen nächsten Höhepunkt nicht alleine, sondern mit einem Dutzend anderer Laufpartner vorbereitete.
Im August 2014 gab es für mich eine große Überraschung mit der ich überhaupt nicht gerechnet hatte, die sich jedoch auch sehr positiv auf meine Leistungskurve auswirken sollte. Ich wurde in das Team der ASICS Frontrunner aufgenommen. Das versprach mir nicht nur exzellentes Material, sondern auch die Motivation, zu dem wohl vielseitigsten und stärksten Laufteam Deutschlands dazu zu gehören. Für mich eine große Ehre. Beim Einstand in der Marathonstaffel in Frankfurt gab ich mir auch keine Blöße und brachte den Staffelstab als erster Schlussläufer ins Ziel. Auch auf den klassischen Distanzen lief ich im ASICS-Trikot auf Anhieb zu neuen Bestzeiten.
Ein gutes Omen für die zehrende Vorbereitung im Winter und für meinen zweiten 50km-Lauf im Februar 2015. Ich wollte mehr: mehr Laufen, mehr Leidenschaft, mehr Ultramarathon.
Nach der tollen Aufnahme in den Kreis der ASICS Frontrunner, der Unterstützung mit der erstklassigen Ausrüstung mit Funktionsbekleidung und Laufschuhen, neuen Bestzeiten auf den Unterdistanzen und verletzungsfreiem Wintertraining war ich so weit, einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung Ultramarathon zu machen: Der zweite Deutsche Meistertitel war mein Ziel. Das 50km-Rennen in Marburg sollte vom Duell zwischen dem damaligen ASICS Frontrunnerkollegen und Vizeweltmeister im Ultratrail, Florian Neuschwander, und mir geprägt sein. Doch wir liefen nur die ersten 5km zusammen. Diesmal hatte ich meine neuen Lieblingsschuhe, die GEL-Tarther von ASICS, an den Füßen. Ich war einfach nicht zu bremsen, weil ich wusste, dass der Deutsche Rekord für mich in Reichweite lag. Zwischenzeitlich war ich 90 Sekunden der Durchschnittspace voraus. Doch das Risiko, das ich einging, war zu groß und sollte sich als kleiner aber entscheidender Fehler herausstellen. Zwar lag ich bei Kilometer 40 immer noch auf Rekordkurs, aber dann wurden die Beine immer schwerer und ich immer langsamer. Der Rekord rückte in weite Ferne. Dennoch kam ich mit einem deutlichen Vorsprung auf Florian ins Ziel und konnte meinen Traum der Titelverteidigung verwirklichen. Dazu bedeutete meine neue Bestleistung von 2:55:16 Stunden, dass ich die Qualifikationszeit des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) für die ersten Weltmeisterschaften über 50km um fast 5 Minuten unterboten hatte. Damals, also Ende Februar, konnte ich es noch nicht für möglich halten, wirklich Deutschland bei einer Weltmeisterschaft vertreten zu dürfen. Das konnte ich überhaupt nicht einordnen.
Bis heute kann ich es immer noch nicht glauben. Doch der Flug von Berlin nach Doha in dem kleinen Land Katar zwischen Wüste und persischem Golf ist für Dezember gebucht. Der DLV hat mich nominiert und der Koffer mit der Nationalmannschaftskleidung steht in meinem Zimmer bereit. Für mich kommt das einer Teilnahme an den olympischen Spielen gleich. Ich darf mein Land bei einem sportlichen Wettstreit auf höchstem Niveau vertreten. Zwar ist die Distanz mit den 50km etwas ungewöhnlich, aber gerade das hat für mich seinen Reiz. Ich habe die Hoffnung, dass in diesem Distanzbereich die Dopingquote geringer als in den ausgetragenen Disziplinen der Leichtathletik bei den Olympischen Spielen ist und die Teilnehmer keine finanziellen Ziele mit dem Laufen verfolgen. Für mich persönlich ist eine WM im Ultramarathonbereich sehr wertvoll. Ob ich es im Marathonlauf jemals zu den Olympischen Spielen geschafft hätte, werde ich nie erfahren. Ich habe mir andere Ziele gesetzt. Die gefühlte Grenze, die mir mein einstiger Trainer genannt hatte, habe ich umgangen. Ich finde, dass die Olympischen Spiele nicht bedingungslos das Größte für jeden Sportler sein sollten. Ich jedenfalls habe an einer Disziplin gefallen gefunden, die nicht olympisch ist. Jeder sollte die Sportart ausüben, die zu einem passt, und sich nicht von äußeren Einflüssen verleiten lassen. Ich empfinde die längeren Distanzen erfüllender und das tägliche Training passender zu meiner Persönlichkeit. Mit dem Ultramarathonlauf kann ich mich identifizieren. Für mich liegen in diesem Bereich meine Träume verborgen und ich bekomme durch sie Tag für Tag neue Kraft. Das ist meine Botschaft an euch. Es ist wichtig, seine eigenen Ziele und seine Träume zu finden, mit denen man sich zu 100 Prozent identifiziert. Dann lohnt sich jeder Meter, den man zurücklegt, um sein nächstes Ziel zu erreichen.
In diesem Sinne möchte ich neben meinem Trainer und meinem Verein Die Laufpartner, meiner Familie und meinen Freunden ganz besonders ASICS und allen ASICS Frontrunnern – mit denen ich mich auch zu 100% identifiziere — für das erste gemeinsame Jahr und SZIOLS, Damm Brillen, Sports-Block.com und ERDINGER Alkoholfrei für die andauernde Unterstützung seit 2013 danken, denn ich habe festgestellt, dass man nur im Team seine Ziele erreichen kann. Es ist ein tolles Gefühl, diese besondere Rückendeckung zu haben.
Für mein Debüt im Deutschlandtrikot verbleiben mir nun noch sieben Wochen der Vorbereitung. Ich lade euch ein, mich auf dieser spannenden Reise zu begleiten und werde an dieser Stelle Berichte über meine Vorbereitung und das große Rennen um den WM-Titel berichten.