Der 100km-Lauf am 24. März hat mir gezeigt, dass die 100km-Strecke meine Distanz ist. Sie fordert mich heraus und gleichzeitig kann ich meine Stärken zeigen: ich liebe das ausdauernde Laufen. Bei den Berlin-Brandenburgischen Meisterschaften wurde ich nun mit der Goldmedaille belohnt.
Mit der Zeit von 7:43:54 habe ich zwar noch nicht meinen Traum von einer Qualifikation für eine Weltmeisterschaft über 100km erreicht. Doch ich bin diesem Traum ein ganzes Stückchen näher gekommen. Das ist das, was zählt und was mich optimistisch stimmt.
Großen Anteil an meiner Leistung hat meine sensationelle Freundin, die meine Verpflegung übernahm und mein Verein, das Ultrateam der LG Nord Berlin. Viele waren an den Störitzsee gekommen, um zu helfen oder aber selbst zu laufen. Martin Ahlburg hat mit mir gemeinsam die ersten 50km bestritten, was wirklich sehr toll und abwechslungsreich war. Dabei wurden wir auch von seiner Freundin und vielen anderen kräftig angefeuert. Auch meine Schwester war an die Strecke gekommen und hat mich kämpfen aber auch lächeln sehen dürfen.
Die ersten 50km, also die erste Halbzeit, verlief ganz schnell. Nach dem Start um 6:30 Uhr am Ufer des einsam gelegenen Störtizsees hatte ich nach 20km ins Rennen gefunden. Dann rollte es und die Abläufe mit der Nahrungsaufnahme alle 5km spielten sich ein. Jede Runde zwei, drei Schlucke meines kohlenhydrathaltigen Getränkes (Vitargo), dazu auch etwas feste Nahrung. Mal eine Kartoffel, mal eine Banane oder eine Marone.
Dann war ich alleine unterwegs. Auf der Strecke waren natürlich noch viele andere unterwegs. Ab und zu überholte ich jemanden. Auf einem Teilstück kamen mir aber auch die Läuferinnen und Läufer aus der anderen Richtung auf einem Pendelstück entgegen. So hatte ich immer einen guten Überblick über das Geschehen im Rennen. Die schnellsten 50km Läuferinnen und Läufer waren bereits im Ziel. Es waren nun vor allem 100km- und 12-Stunden-Läuferinnen und Läufer aktiv.
Der zweitplatzierte, Sören Schramm, war nun bereits einmal von mir überrundet worden. Von der LG Nord Berlin war noch mein Ultrateam-Kamerad, Martin, unterwegs. Die flotten Frauen, Rebecca und Annette, waren leider schon vorzeitig aus dem Rennen wegen individueller Schwierigkeiten gegangen. Dafür hatten Dirk und Evelyn ihren 50km-Lauf erfolgreich absolviert.
Nach 55km versuchte ich meine Beine etwas auszuschütteln. Sie fühlten sich etwas steif und schwer an. Ich änderte deshalb den Schritt und wurde dabei unmerklich schneller. Die größeren Schritte fühlten sich gut an. Doch meine Beschleunigung war zu diesem Zeitpunkt gar nicht geplant. Nachdem ich diese bei km 60 bemerkte, sah ich zu, wieder langsamer zu werden. Das führte dazu, dass mein Schritt wieder steifer wurde. Ich fühlte mich irgendwie nicht ganz wohl. Das Unwohlsein wurde dadurch verstärkt, dass mein linker Schuh drückte. Er war wohl etwas zu fest zugebunden gewesen und auch die Korrektur bei meinem einzigen Stop im Rennen nach knapp 30km hatte das Problem nicht nachhaltig gelöst. Ich versuchte, die Situation und mein Empfinden so anzunehmen. Das gelang mir auch. Ich war optimistisch, dass ich diese Phase des Rennens meistern würde.
Ich änderte ab km 70 meinen Plan und versuchte nicht mehr mein Zieltempo von 4:25min/km zu halten. An diesem Punkt im Rennen, waren meine letzten beiden Versuche 100km zu laufen bereits vom Kopf beendet gewesen. 2016 und 2017 kam ich mir vor, als ob ich gegen eine Wand rennen würde und mein Körper nicht mehr in der Lage war, die Wand zu durchbrechen. 2016 kam ich dann völlig entkräftet und von Verdauungsproblemen geplagt nach 8:48:23 Stunden ins Ziel; 2017 bin ich nach 75km ausgesteigen. Dieses Mal war es ganz anders. Ich denke, dass sich meine besondere mentale Vorbereitung positiv ausgewirkt hat. Dieses Mal rannte ich nicht gegen eine Wand an. Ich war mir diesmal ganz sicher, dass ich das Rennen erfolgreich beenden würde. Um nicht wieder gegen eine unsichtbare Wand anzurennen und zu scheitern, nahm ich mir immer einen 5km-Abschnitt vor, der bewältigt werden musste. Außerdem gab ich dem Körper die Chance, sich an die Situation anzupassen. Der Kopf bestimmte nicht mehr das Tempo. Ich wurde nun bis ca. km 80 langsamer. Das war natürlich nicht so geplant. Ich habe aber inzwischen gelernt, dass der Schlüssel zum Erfolg bei Ultrastrecken darin liegt, sich an die Rennsituation anzupassen und dabei auf seinen Körper und seinen Kopf zu hören. Nur in ganz seltenen Fällen — anders als beim Marathon oder kürzeren Distanzen — ist es zielführend, seinen zuvor erdachten Rennverlauf zu befolgen und dabei z.B. das Tempo zu erzwingen oder eine bestimmte Menge zu essen oder zu trinken.
Auch der Rückhalt des Ultrateams der LG Nord Berlin und meiner Familie, der für mich deutlich zu spüren war, hat mir geholfen, diesen entscheidenden Abschnitt zwischen km 60 und 80 durchzustehen.
Ab km 80 spürte ich wieder neue Energie in mir. Nun war ich mir ganz sicher, dass ich auch die letzten vier Runden mit einem positiven Gefühl laufen würde. Gleichzeitig gab es auf der Strecke etwas Abwechslung: die 10km-Läuferinnen und Läufer der Berlin-Brandenburgischen Meisterschaften waren auf der Strecke. Die Schnellsten flogen an mir vorbei. Im Feld mit dabei war auch der erst vor zwei Wochen zum Deutschen Meister über 100km gekrönte Alexander und Benjamin aus meinem Ultrateam. Ganz vorne lief aber Philipp Baar allen davon.
Auf den letzten 10 Kilometern kehrte dann wieder Ruhe ein. Ich wechselte noch einmal Mütze und Handschuhe. Das Wetter war immer noch trocken, aber weiterhin sehr frisch und es fröstelte mich etwas. Beim Start war es mit 0 grad sehr kalt gewesen. Inzwischen waren die Temperaturen auf 6 Grad geklettert. Es war nach wie vor recht grau. Es war also auszuhalten, aber nicht im optimalen Bereich für einen 100km — Lauf. Ich freute mich nun auf den letzten Rundendurchlauf. Ich dankte im Herzen meinem ausdauernden Team, vor allem meiner weltbesten Freundin am Rand, die an mich glaubten. Ich schenkte Ihnen ein Lächeln und machte mich auf die letzten 5km.
Die allerletzte Runde fühlte sich ganz anders an, obwohl ich dort ja schon 19 mal entlanggelaufen war. Ich nahm in gewisser Weise Abschied. Die einzelnen Eindrücke auf den unterschiedlichen Abschnitten waren besonders intensiv. Die ersten zweieinhalb km führten über Asphalt, fast immer geradeaus. Ich lief über die lange Gerade vor bis zur großen Landstraße und nahm die leichten Wellen ganz intensiv war. Ich bog auf den Radweg ab und freute mich über die Sonnenstrahlen, die mir hier jetzt ins Gesicht schienen. Der Verkehr war jetzt deutlich dichter als am Morgen und ich nahm die Abgase in meiner Nase war. Auf dem Rückweg begann der schwierigere, fordernde Abschnitt, der zuletzt durch Forstarbeiten sehr in Mitleidenschaft geraten war. Hier war es nun ganz besonders matschig geworden. Die Schuhe drückten sich in die weiche, Wasser durchtränkte Erde. Bei jedem Schritt entstand ein quietschendes Geräusch und Schuh wurde etwas an den Boden gesaugt. Doch daran hatte ich mich schon so sehr gewöhnt, dass ich es nicht mehr als störend empfand. Den letzten km erreichte ich über einen schönen, federnden Waldboden. Es ging in einem sanften Bogen mit Blick auf den Störitzsee zurück zu der asphaltierten Zufahrtsstraße. Dort begann meine Zielgerade.
Ich empfand eine große Zufriedenheit — ein Lächeln im Herzen — als ich so auf das Zielbanner zusteuerte. Ich fühlte mich nicht leicht, ich flog auch nicht dahin. Ich fühlte einfach nur ein tiefes Wohlbefinden, dass ich in diesem Moment das erlebte, was mir zuletzt noch verwehrt geblieben war und auf das ich so lange hingearbeitet hatte. Seitdem ich mir die 100km als Ziel gesetzt hatte, wollte ich dieses Gefühl erleben. Nun hatte ich es geschafft. Ich überlief den Zielstrich nach 7:43:54 Stunden und freute mich. Mein Team hatte sich versammelt und empfing mich nach meiner langen Reise. Dies war für mich ein ganz besonderer Moment in meinem Läuferleben. An diesen werde ich mich noch lange zurück erinnern. Ich danke allen, die mich auf meinem Weg unterstützt haben.
Ich bin mir ganz sicher, dass ich noch einige Reserven habe, die ich nutzen können sollte, wenn ich nicht so viel arbeiten werde wie zuletzt. Mit der Aufnahme meiner beruflichen Tätigkeit habe ich seit kurzem sehr verantwortungsvolle Aufgaben übernommen, die mich als Berufseinsteiger sehr gefordert haben. Und wenn die Regeneration fehlt, dann kann man einfach nicht so intensiv und umfangreich trainieren bzw. hat das Training einfach nicht den gewünschten Effekt.
Ich freue mich wirklich sehr darüber, Berlin-Brandenburgischer Meister zu sein und bin sehr gespannt wie ich mich in Zukunft meinem Traum weiter nähern werde.
Ergebnisse
Fotos
Video vom Zieleinlauf
Bericht des Ultrateams der LG Nord Berlin
Foto: Jörg Stutzke