Es ist nicht meine Art, eine neue Bestzeit beim Höhepunkt der ersten Jahreshälfte mit einer Partynacht inklusive Alkohol zu feiern. Ich genieße viel lieber für mich alleine und speichere die Motivation für neue Vorhaben. Nach dem erfolgreichen Halbmarathon an der Elbe wollte ich meine erste Saisonhälfte noch nicht beenden. Ich wollte mir noch einen Lauf suchen, bei dem ich noch einmal schnell unterwegs sein und gleichzeitig ohne Zeitdruck den Wettkampf unbeschwert genießen würde können. So war zumindest mein Plan und ich entschied mich kurzfristig, eine Tour an die Ostsee zu unternehmen.
Der Binzer Halbmarathon hatte mich nach Rügen gelockt. Am Vorabend freute ich mich sehr über den Urlaubsflair am meer und atmete die frische, klare Luft tief ein. Allein für diese kurze Entspannung fern von der Großstadt hatte sich die Reise schon gelohnt. Zufrieden schluief ich ein und wachte völlig ausgeruht bei herrlichem Sonnenschein auf. Das Wasser war spiegelglatt und glänzte wunderschön. Ich war bereit für den Rundkurs durch die Berge der Granitz auf der größten Insel Deutschlands.
Ganz ohne Plan wollte ich diesen Halbmarathon jedoch nicht bestreiten. Ich wusste, dass der Streckenrekord nach den ersten vier Austragungen bei rund 1:13 Stunden lag. Diesen wollte ich unterbieten, ohne alles geben zu müssen. Der Startschuss fiel und sofort wurde richtig Tempo gemacht. Ich ging nicht sofort mit. Der Athlet vom Team Hapimag Binz, Chris Gerdel, würde vermutlich nur mal zu Beginn vorne sein wollen. Da hatte ich mich aber schwer getäuscht. Ich sah sehr bald, dass er laufen konnte und den Berg zur Steilküste hoch flog. Nach 3 Kilometern auf Abstand schloss ich die Lücke und folgte dem dreimaligen Deutschen Jugendmeister über 1500 Meter im selben Tempo bergauf und bergab. Nach dem Klünderberg ging es durch die Teufelsschlucht bis zur Kreuzeiche, wo wir die 5 Kilometer-Marke erreichten. Deutlich unter 16:00 Minuten auf meiner Uhr bestätigten das hohe Anfangstempo. Chris wurde nun etwas ruhiger, zumindest kam es mir so vor. Ein Blick auf Höhe des Schwarzen Sees verriet, dass uns jemand auf den Fersen war und näher kam. Das wollte ich verhindern und ging nach vorne. Die nächsten 2 Kilometer machte ich besonders bergab Dampf. Ich war der Hoffnung mir einen Vorsprung zu erarbeiten. Bei Kilometer 9 gab mir der Führungsradfahrer aber zu verstehen, dass mein Vorsprung schmolz. Ich schaltete noch einen Gang höher. Noch schneller und ich hätte das Rennen nicht überstanden. Ich passierte die 10 Kilometer-Marke in 31:50 Minuten und das bei dieser Strecke. Ich war am Anschlag und fragte mich, wer mir wohl im Nacken saß. Sein Schatten hatte mich schon erfasst, als ich es wagte, zur Seite zu blicken.
Das konnte doch nicht wahr sein. Mit einem völlig entspannten Schritt zog an mir ein Afrikaner vorbei. Einen Moment war ich gelähmt. Damit hatte ich nicht gerechnet. Sofort nahm er mir ein paar Meter ab. Ich kam gar nicht auf die Idee ihm folgen zu können. Erst nach einem weiteren Kilometer merkte ich, dass ich sein Tempo durchaus mitgehen könnte. Näher kam ich ihm aber nur bergan. Bergab ließ er es laufen. Auch wenn ich es schon ein wenig verpasst hatte, wollte ich mich auf ein kleines Duell einlassen. Ob er nur mit mir spielte oder ich ihm ernsthaft gefährlich werden könnte, war mir in dem Moment nicht so wichtig. Ich war froh, ganz unverhofft den Renn-Modus gefunden zu haben. Natürlich hatte ich auf der ersten Rennhälfte schon sehr viel investiert. Ich wollte aber nicht nur den Platz absichern. Von Kilometer 15 — 19 blieb der Abstand konstant bei 10 — 15 Sekunden. Erst auf den letzten zwei Kilometern wurde mir klar, dass ich zu einem Endspurt nicht mehr in der Lage war. Mein Ziel war nun unter 1:10 Stunden zu bleiben und das schien zu klappen. Glücklich überquerte ich die Ziellinie nach 1:09:28 Stunden.
Ts’otleho Peter Fane, der in Rostock lebt, hatte mir 26 Sekunden abgenommen. Wir gratulierten uns gegenseitig zum guten Rennen und er verriet mir, dass er aus Lesotho, einem Inselstaat mitten in Südafrika, käme. Chris Gerdel blieb bei seinem ersten Halbmarathon überhaupt ebenfalls unter dem alten Streckenrekord. Das Rennen empfand ich als tolle Zugabe und ich bin mir sicher, nach Binz für ein kleines Trainingslager zurückzukehren. Der Sonnenschein begleitete mich auf dem gesamten Weg zurück nach Berlin und ich genoss die Ausblick aus dem Zug. Bis zum Run of Spirit am Pfingstmontag werde ich nun eine Laufpause einlegen. Dann beginnt die Vorbereitung auf meinen Herbstmarathon und damit ein neues Abenteuer.