Der Oberelbe-Marathon ist eine ganz besondere und reizvolle Laufveranstaltung in Deutschland. Das hat viele Gründe. Nachdem ich bereits 2013 beim Laufspektakel an der Elbe dabei war und den zweiten Platz mit Bestzeit im Halbmarathon belegt hatte, war mir klar, dass ich wieder zurück kommen muss, um die gesamte Distanz zu absolvieren. Dieses Jahr war es soweit.
Das abwechslungsreiche Profil, das die Läufer/innen auf dem ersten Teil der Strecke bis nach Pirna fordert, gefiel mir besonders gut. Über die Konkurrenz wusste ich nicht viel. Der Pole Maciek Miereczko, der schon viele Jahre in Deutschland lebt und inzwischen eine Familie mit zwei Töchtern hat, und auch der Vorjahressieger aus der Ukraine waren angekündigt gewesen. Dazu gesellte sich der Äthiopier Siyoum Lemma, der in der Hauptstadt Addis Abbeba lebt.
Das Organisationsteam unter der Regie von Uwe Sonntag weiß, worauf es für die Läuferinnen und Läufer ankommt. Nach einer angenehmen Nacht im Dorint-Hotel in Dresden verlief die morgendliche “Sonderfahrt” mit dem Zug von Dresden zum Startpunkt ausgezeichnet. Mit dabei waren mein Trainer, Volkmar Scholz, mein Vereinskamerad, Holger Leidig, und meine Freundin. Direkt neben dem Bahnhof Königstein befand sich der Startbereich mit Gepäckabgabe. Wirklich entspannt, stand ich um 9:25 Uhr an der Startlinie bereit. Ich freute mich auf den Marathon und wie sich das Rennen entwickeln würde. Der Streckenrekord lag bei 2:25 Stunden und ich traute mir zu, diese Marke zu unterbieten. Das wäre eine neue Bestzeit. Ein letztes Schulterklopfen mit Holger, dann ging es los. Meine Freundin verfolgte das Rennen vom hinterherfahrenden Dampfer. Mein Trainer begleitete mich auf dem Rad. Selbstbewusst begann ich das Rennen. Der Ukrainer war gar nicht dabei. Wir waren zu dritt unterwegs. Der Pole und der Äthiopier überließen mir die Rolle des Tempomachers.
Die ersten 5 Kilometer waren sehr ruhig, ca. ein 3:30er Schnitt pro Kilometer. Wenn man jedoch bedenkt, dass es auf den ersten 10 Kilometer und in der Altstadt von Pirna einige Höhenmeter zu bewältigen gilt, dann war das gar nicht so ruhig. Die Schönheit der Landschaft ließ mich die Anstiege und das Tempo nicht spüren: Die felsigen Steine mit der Bastei hoch über der Elbe, die schon viele Maler inspiriert hat; die sanften Biegungen der Elbe, die nach vielen regenlosen Wochen wenig Wasser Richtung Nordsee bringt; das sich öffnende Tal auf dem Weg nach Dresden. Diese Eindrücke motivierten mich mit dem Tempo zu spielen und nicht ständig auf die Uhr zu schauen.
Bei einem Anstieg irgendwo bei Kilometer 10 ließ der Pole eine Lücke reißen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Nun überlegte ich, wie stark der Äthiopier sein würde. Ich ließ ihn vor mir laufen. Er zeigte sich bereits bei Kilometer 15 angestrengt. Sein Laufstil wirkte nicht rund. Was ich erst nach dem Rennen erfahren sollte: Er hatte eine Woche zuvor den Bonn-Marathon gewonnen. Ich vermute, dass er sich davon noch nicht erholt hatte. Immerhin lautet seine Marathon-Bestzeit 2:10 Stunden. Ich entschied mich dazu, dass Tempo hoch zu halten. Wir waren jetzt mit ca. 3:20 Minuten pro Kilometer unterwegs. Der Lauf war nach meinem Deutschen 50km Meistertitel eine Zugabe. Ich wollte Erfahrung sammeln. Ich fühlte mich so stark, dass ich einen Zwischenspurt einlegte und versuchte, den Äthiopier in der kurvigen Altstadt von Pirna abzuhängen. Schnell war klar, dass er mir nicht folgen würde. Mein Abstand wuchs sehr schnell auf 50 Meter an.
Zurück auf dem Elbradweg in Richtung Dresden ließ ich es dann einfach laufen. Doch viel langsamer wurde es nicht wirklich. Die Uhr bei der Halbmarathonmarke zeigte 71:18 min. an. Ich wusste, dass der erste Abschnitt Kraft gekostet hatte, die mir nun fehlen könnten. Ich folgte dem Rat meines Trainers, dass Tempo zu reduzieren. Die Bestzeit konnte mir keiner mehr nehmen. Der Sieg wurde von Kilometer zu Kilometer immer wahrscheinlicher. Dennoch konnte ich mir nie richtig sicher sein.
Nun waren auch immer mehr Schaulustige an der Strecke zu sehen, die mich erst etwas verdutzt anschauten und dann auch applaudierten. Auf der Höhe des Blauen Wunders wusste ich, dass ich nun noch einmal alles geben konnte. Nach 38 Kilometern war das aber keine Wohltat mehr. So fühlt sich Marathon an, wenn die Beine schwerer und der Körper müder wird. Ich hielt dagegen an. Gleichzeitig frischte der Wind, der nun vorne kam, auf. Nun hatte ich nur noch eines im Sinn: das Ziel. Ich registrierte zwar sehr wohl die Zuschauer, die mich auch in Dresden in großer Zahl von der höher gelegenen Altstadtmauer anfeuerten, richtig freuen konnte ich mich aber erst beim Einlauf in das Heinz-Steyer-Stadion. Dort konnte ich die letzten 200 Meter genießen und lief unter großem Beifall bei 2:23:38 Std. durch das Zielband.
Siyoum Lemma kam nach 2:26:48 Stunden ins Ziel und Maciek Miereczko eine Minute dahinter nach 2:27:40 Stunden. Auch wenn der Äthiopier mit seiner Zeit nicht zufrieden schien, bei der Siegerehrung zeigte auch er ein kleines Lächeln. Drei Marathonläufer aus drei verschiedenen Nationen standen auf dem Siegerpodest und wurden vom ehemaligen Europameister über 10.000 Meter und einem der besten deutschen Langstreckenläufer der letzten Jahre, Jan Fitschen, geehrt. Das war ein toller Abschluss.
Ich werde mich sicherlich noch sehr lange an diesen Tag des Oberelbe-Marathons mit seinen vielfältigen positiven Eindrücken erinnern, die mir erneut gezeigt haben, dass in mir ein Langstreckenläufer steckt, der Lust auf mehr solcher Marathonläufe hat, denn dieser Lauf war in vieler Hinsicht mein bislang schönstes Erlebnis. Auch wenn Deutsche Meisterschaften im Blick auf den sportlichen Wettstreit viel höher zu bewerten sind, möchte ich auch die anderen Läufe nicht missen. Ich habe so viele positive Eindrücke und Motivation gewonnen, die mir auf meinem Weg weiterhelfen werden.