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Der Start zum 3. Run of Spirit in Posen 2014 mit Niels Bubel

Vor zwei Jah­ren fei­er­te der Run of Spi­rit in Po­len sei­ne Pre­mie­re. Nun wur­de er zum drit­ten Mal vom Ver­ein “Na Tak” ver­an­stal­tet. Zu­sam­men mit mei­nem Trai­ner Volk­mar Scholz und sei­ner Fa­mi­lie, vier Klein­bus­sen mit Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mern vom Evan­ge­li­schen Jo­han­nes­stift und Ger­rit We­ge­ner vom LTC Ber­lin bin ich über die Oder hin­weg auf der zur Fuß­ball-EM ge­bau­ten Au­to­bahn in rund drei Stun­den nach Po­sen ge­fah­ren. Dort wur­den wir herz­lich vom Ver­ein “Na Tak” zu ei­nem ge­mein­sa­men Abend­essen emp­fan­gen. Im Ver­lauf des Abends konn­ten wir au­ßer­dem noch ein von dem Ver­ein ge­ra­de fer­tig­ge­stell­tes Wohn­haus für Men­schen mit Mehr­fach­be­hin­de­run­gen be­stau­nen und fühl­ten uns in dem kom­plett neu re­no­vier­ten Haus sehr wohl. Für mich war es fas­zi­nie­rend zu se­hen, wie aus ei­ner Rui­ne mit gro­ßer Un­ter­stüt­zung vie­ler Be­tei­lig­ter ein Zu­hau­se ge­wor­den ist, das die An­for­de­run­gen für Men­schen mit den All­tag be­stim­men­den Hür­den er­füllt.

Nach ei­nem le­cke­ren Früh­stück zur nö­ti­gen Stär­kung fiel der ers­te Start­schuss zu ei­nem lan­gen Run of Spi­rit-Tag um 9 Uhr. Der in­zwi­schen über die Gren­zen hin­weg be­kann­te Lo­thar Bensch nahm auch die Her­aus­for­de­rung an, den Mal­ta­see zwei­mal zu um­run­den. Da er nach ei­nem Schlag­an­fall im Jahr 2005 im­mer noch mit den gra­vie­ren­den Fol­gen zu kämp­fen hat, be­kam er ei­nen Vor­sprung, um spä­ter die Chan­ce zu ha­ben mit dem grö­ße­ren Feld ge­mein­sam ins Ziel ein­zu­lau­fen. Mit ei­nem gro­ßen Ruck­sack vol­ler Pro­vi­ant und ei­ner Be­glei­tung an der Sei­te zog er gut ge­launt los.

Zu­sam­men mit Phil­ip Tor­wes­ten, der ein lei­den­schaft­li­cher Fuß­bal­ler und Aus­dau­er­sport­ler ge­wor­den und wie die vie­len an­de­ren Mit­ge­reis­ten vom Evan­ge­li­schen Jo­han­nes­stift ein gro­ßer Fan des Run of Spi­rit ist, feu­er­ten wir die Kin­der, Schü­ler und Ju­gend­li­chen bei ih­rem Hö­he­punkt des Ta­ges auf dem Weg bis ins Ziel an. Da­bei sa­hen wir vie­le ver­schie­de­ne Emo­tio­nen: Glück, Freu­de, Über­mut, Kampf­geist, aber auch Frust und Ent­täu­schung wa­ren mit da­bei. Phil­ip und ich hat­ten uns be­reits am Vor­abend un­ter­hal­ten und set­zen nun den Ge­dan­ken­aus­tausch fort. Der ehe­ma­li­ge Vize-Welt­meis­ter im Vie­rer mit Steu­er­mann hat­te im ver­gan­ge­nen Jahr eine für ihn per­sön­lich schwe­re Le­bens­kri­se be­wäl­tigt und sich nun neue Zie­le im Sport ge­setzt. Der ge­bür­ti­ge Mar­zahner hat schon vie­le Um­we­ge in sei­nem Le­ben ge­meis­tert. Auf­grund von Sauer­stoff­man­gel bei der Ge­burt muss­te er zahl­rei­che Ein­schrän­kun­gen in der Ent­wick­lung über­win­den. Phil­ip er­zähl­te mir, dass er sich in die­sem Jahr beim Lauf­trai­ning schon deut­lich stei­gern konn­te und mit­tel­fris­tig ei­nen Halb­ma­ra­thon plant. Sein an­vi­sier­tes Ziel für den Run of Spi­rit in Po­sen sei, die gut 11 Ki­lo­me­ter lan­ge Stre­cke in 50 Mi­nu­ten zu be­wäl­ti­gen. Ich riet ihm dar­auf zu ach­ten, nicht zu schnell die ers­te Run­de zu lau­fen, denn ich sel­ber woll­te eben­falls dar­auf ach­ten.

Bis für Phil­ip und mich der Start­schuss er­folg­te wa­ren noch die üb­ri­gen Sport­le­rin­nen und Sport­ler des Jo­han­nes­stif­tes an der Rei­he. Beim bar­rie­re­ar­men Lauf fiel mir zum wie­der­hol­ten Male auf, wie toll es ist, dass es beim Run of Spi­rit kei­ne Gren­zen gibt: Nie­mand wird aus­ge­grenzt. Alle sind will­kom­men. Alle feu­ern sich ge­gen­sei­tig an und freu­en sich für die Leis­tung des Nächs­ten. Für alle ist es ein be­son­de­res sport­li­ches Ziel, eine Her­aus­for­de­rung und je­der geht es so ehr­gei­zig an, wie sein ei­ge­ner An­sporn ist. Die ab­so­lu­te Zeit als Leis­tungs­kri­te­ri­um spielt kei­ne Rol­le. Der Spaß dar­an et­was Gu­tes für sich und an­de­re zu tun, steht im Mit­tel­punkt. Je­der wird für sein in­di­vi­du­el­les Durch­hal­te­ver­mö­gen ge­wür­digt. Es gel­ten die Wor­te des Wie­der­be­le­bers der Olym­pi­schen Spie­le Pierre de Cou­ber­tin: “Es ist nicht das Wich­tigs­te zu ge­win­nen, son­dern teil­zu­neh­men.” Es kommt dar­auf an sein Bes­tes zu ge­ben und mit vol­ler Lei­den­schaft da­bei zu sein. Und au­ßer­dem ist es selbst­ver­ständ­lich, dass je­der zum Ge­lin­gen des Gan­zen bei­trägt. So wur­de aus ei­ner Idee mit der Hil­fe vie­ler hel­fen­der Hän­de und ganz vie­len eif­rig lau­fen­den Bei­nen oder rol­len­den Fort­be­we­gungs­mit­teln ein Lauf­fest der Völ­ker­ver­stän­di­gung über Gren­zen und Sprach­bar­rie­ren hin­weg.

Vol­ler Emo­tio­nen ging ich Sei­te an Sei­te mit Ger­rit We­ge­ner an die Start­li­nie für un­se­ren Lauf, der wie alle an­de­ren Wett­be­wer­be auch vom sport­li­chen Lei­ter Ar­tur Ku­ja­win­ski ge­star­tet wur­de. Ge­mein­sam mit dem Po­len Pio­tr Ma­j­low­ski lie­fen wir am Ran­de des Mal­ta Sees Rich­tung In­nen­stadt von Po­sen. Da­bei muss­ten wir uns ge­gen Wind stem­men, so dass wir hin­ter­ein­an­der lie­fen. Pio­tr leg­te mit ei­ner ho­hen Schritt­fre­quenz ein schnel­les Tem­po von ca. 3:20 min/km auf dem ers­ten Ab­schnitt vor. Ger­rit und ich konn­ten aber gut fol­gen. Auf dem Rück­weg, der ge­gen­über­lie­gen­den Sei­te fühl­te es sich dann Dank des Rü­cken­win­des viel lo­cke­rer an. Ne­ben uns wur­den Ru­der­wett­kämp­fe im Zwei­er ohne Steu­er­mann aus­ge­tra­gen. Beim Ein­lau­fen wa­ren die Ru­de­rer noch im Vor­teil. Nun wa­ren wir schnel­ler. Da er­blick­te ich Lo­thar Bensch. Die 10 Ki­lo­me­ter-Mar­ke hat­te er schon hin­ter sich und setz­te zum End­spurt für den letz­ten Ki­lo­me­ter an. Er war nun be­reits über 3:30 Stun­den un­ter­wegs. Ger­rit und ich feu­er­ten ihn kräf­tig an. Wir hat­ten noch 6,5 Ki­lo­me­ter vor uns. Wür­de Lo­thar vor uns im Ziel sein? Pio­tr macht nun nicht mehr so viel Druck. Am An­stieg auf den letz­ten Me­tern zum Ende der Run­de über­nahm ich die Füh­rung. Ger­rit konn­te mir fol­gen. Das war mei­ne Tak­tik. Ge­mein­sam be­gan­nen wir die zwei­te Run­de mit ei­nem Vor­sprung von rund 50 Me­tern. Nun war ich ge­fragt. Ich ver­such­te das Tem­po hoch zu hal­ten und gleich­zei­tig Ger­rit Wind­schat­ten zu ge­ben. Das funk­tio­nier­te sehr gut. Wir konn­ten je­den Ki­lo­me­ter in ca. 3:30 min/km ab­sol­vie­ren. Am an­de­ren Ende des Sees war der Vor­sprung be­reits auf ca. 150 Me­ter an­ge­wach­sen. Uns war klar, dass wir den Sieg zwi­schen uns bei­den aus­ma­chen soll­ten. Ger­rit for­der­te mich auf, das Tem­po zu be­schleu­ni­gen. Ich war mir et­was un­si­cher, weil ich ihm nicht weg­ren­nen woll­te. Dann fiel mir aber ein, dass ich mei­ne Stre­cken­best­zeit von 2012 noch ver­bes­sern könn­te, die bei 39:35 Mi­nu­ten lag. Also zog ich das Tem­po an: erst ver­hal­ten, dann ein we­nig kon­se­quen­ter. Ger­rit blieb mir erst auf den Fer­sen. Am An­stieg zum Ziel hin­auf konn­te ich das Ren­nen aber ent­schei­den und hat­te noch ein paar Se­kun­den, um ei­nen Ath­le­ten im Roll­stuhl die An­hö­he hin­auf zu hel­fen. Glück­lich und ge­löst lief ich nach 38 Mi­nu­ten und 53 Se­kun­den über die Ziel­li­nie. Ich freu­te mich, dass ich die Er­war­tun­gen der Mit­ge­reis­ten aus dem Jo­han­nes­stift er­fül­len konn­te und nahm eine der schöns­ten Me­dail­len ent­ge­gen. Ger­rit folg­te 19 Se­kun­den hin­ter mir. Auch er war mit dem Renn­ver­lauf über­aus zu­frie­den. Knapp zwei Mi­nu­ten spä­ter kam Pio­tr als Drit­ter ins Ziel.

Der pol­ni­sche Ver­ein “Na Tak” hat die Idee des Run of Spi­rit von Volk­mar Scholz und dem Evan­ge­li­schen Jo­han­nes­stift nicht nur über­nom­men, son­dern in die­sem Jahr zum drit­ten Mal sehr er­folg­reich wei­ter­ent­wi­ckelt.

Wo bei uns in Deutsch­land oft der eher star­re In­klu­si­ons­be­griff im Weg zu ste­hen scheint, wird bei un­se­ren Nach­barn die Ge­mein­schaft al­ler Men­schen ganz gleich ih­rer in­di­vi­du­el­len Vor­aus­set­zun­gen auf eine sehr na­tür­li­che Art und Wei­se ge­lebt. Ich den­ke, wenn ich das We­sen ei­nes Men­schen ach­te, dann wird mir zu­nächst gar nicht be­wusst, dass mein Ge­gen­über phy­si­sche oder psy­chi­sche Ei­gen­schaf­ten zu be­wäl­ti­gen hat, die mir sel­ber fremd sind. Wenn ich aber beim ers­ten Kon­takt ver­su­che, je­man­den nach dem Grad sei­ner Ein­schrän­kung in eine Ka­te­go­rie ein­zu­ord­nen, dann baue ich sel­ber eine Bar­rie­re auf, die nur noch schwer zu über­win­den ist. Ich bin es, der ein Hin­der­nis baut, durch das mir der an­de­re fremd er­scheint. Je­der ist ver­schie­den und hat un­ter­schied­li­che Fä­hig­kei­ten. Ich bin es, der die­se Fä­hig­kei­ten als Ta­lent im po­si­ti­ven Sin­ne oder Ein­schrän­kung im ne­ga­ti­ven Sin­ne de­kla­rie­re. In den meis­ten Fäl­len gibt es gar kei­ne Hür­den, die ein Ver­stän­di­gungs­pro­blem zwi­schen zwei Men­schen er­zeu­gen. Der eine kann sei­ne ver­meint­li­chen Schwä­chen mit Hilfs­mit­teln, der an­de­re mit Ver­hal­tens­wei­sen aus­glei­chen, so dass oft neue Stär­ken ent­ste­hen. Ich sel­ber habe auf bei­den Au­gen ver­schie­de­ne Fehl­sich­tig­kei­ten. Ohne, aber auch mit ei­ner Bril­le sehe ich Dop­pel­bil­der, so dass das Se­hen für mich eine gro­ße Kon­zen­tra­ti­on er­for­dert. Dazu kommt die Läh­mung der Mus­keln auf bei­den Sei­ten, die für die He­bung der Au­gen­li­der zu­stän­dig ist. Die­se so­ge­nann­te Pto­sis ist erb­lich be­dingt und wur­de bei mir durch zahl­rei­che Ope­ra­tio­nen chir­ur­gisch kor­ri­giert. Ich muss­te als Kind ler­nen, dass ich von an­de­ren Kin­dern an­ders ein­ge­schätzt wur­de als ich mich sel­ber fühl­te. Da­bei sah ich zu­nächst ein­fach nur an­ders aus. So­mit habe ich un­ter an­de­rem auch sel­ber er­fah­ren wie es sich an­fühlt aus­ge­grenzt zu wer­den. Gleich­zei­tig habe ich her­aus­ge­fun­den, dass ge­ra­de im Sport nicht das Äu­ße­re, son­dern der Wil­le, die Lei­den­schaft und die Aus­dau­er zählt. Der Sport hat mir ge­hol­fen, mei­nen Weg zu fin­den. Über Tur­nen, Ho­ckey, Leicht­ath­le­tik und Fuß­ball kam ich ir­gend­wann beim Lang­stre­cken­lauf an. Da­bei be­glei­tet mich das Mot­to: “Lei­den­schaft ist im­mer sieg­reich!” Ich ver­ste­he dar­un­ter aber nicht, dass ich nur ein Sieg als Er­folg wer­te. Nein! Lei­den­schaft ist der Schlüs­sel auf dem Weg zum Ziel, das ich mir ge­steckt habe. Das muss nicht der ers­te Platz sein. Wenn ich das Ziel dann er­rei­che, war der Lauf er­folg­reich. Nur mit Lei­den­schaft kann ich ge­dach­te Gren­zen über­win­den. Doch ge­hö­ren auch Nie­der­la­gen dazu, um lang­fris­tig vor­an­zu­kom­men. Feh­ler müs­sen kor­ri­giert wer­den. Durch den Sport habe ich so viel für mein Le­ben ge­lernt. Das al­lein ist schon die größ­te Sie­ges­tro­phäe für mich.

Fo­tos vom 3. Run of Spi­rit in Po­sen
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