Lange Zeit ging es für mich darum, neue persönliche Bestzeiten auf Strecken zwischen 5000m bis zum Marathon aufzustellen. Dabei verfolgte ich das Ziel, mich irgendwann mit den besten Läufern zu messen: den besten Berlinern, den besten Norddeutschen, den besten Deutschen. Diese Ziele erreichte ich, doch der sportliche Wettkampf auf Weltniveau war für mich auf diesen Distanzen eine Nummer zu groß. Aus irgendeinem Grund fühlte ich trotz meiner regionalen und nationalen Erfolge eine Unruhe in mir. Die Unruhe empfand ich nicht als negativ, denn daraus entstand gleichzeitig ein Teil meiner Motivation jeden Tag laufen zu gehen, mit dem Ziel besser zu werden. Diese Unruhe ist ein Kribbeln im Körper, ein Ungleichgewicht und viele verschiedene Gedanken im Kopf. Das war vor 6 Jahren.
Ich wollte also an mir arbeiten, ich wollte noch besser werden, ich wollte zu den Besten gehören. Ich glaubte erst dann glücklich sein zu können. Ich erinnerte mich wieder an die 100km — an meinen Traum, diese Distanz zu bewältigen. Ich spürte, dass ich hier zu den Besten dazu gehören könnte — auf den kurzen Distanzen fehlte mir die nötige Grundschnelligkeit und meine Leidenschaft galt schon immer den langen, ruhigen Laufen. Könnte ich es schaffen, im Nationaltrikot für Deutschland zu starten? Damit war mein Traum geboren und er schien im Kopf ganz nah zu sein.
Vor 4 Jahren nutzte ich eine Chance, die sich mir im Kontext der Einstiegs-Ultralangstreckenlauf-Distanz, den 50km, bot. Bei meiner Premiere auf dieser Distanz wurde ich dank meiner Erfahrungen des Marathons Deutscher Meister. Dies war eine Zwischenstation auf dem Weg zu den 100km für mich. Für diese Distanz fühlte ich mich auch ein Jahr später noch nicht bereit und so verteidigte ich meinen Titel über die 50km. Dadurch konnte ich mir einen kleinen Traum erfüllen: ich durfte im Nationaltrikot Deutschlands laufen und mich mit den besten Läufern der Welt über 50km messen. Bei der WM in Doha (Katar) belegte ich den 9. Platz. Das war mein bis dahin größter Erfolg. Doch die Unruhe blieb und ich träumte weiter von den 100km.
2016 habe ich mich dann erstmals an die 100km gewagt. Das Training verlief gut. Doch ich hatte noch zu wenig Erfahrung auf den Distanzen jenseits der 50km. Bei den Deutschen Meisterschaften lag ich bis km 70 auf Platz 2, dann rebellierte mein Körper. Ich hatte große Mühe das Ziel zu erreichen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Statt zur 100km-WM fuhr ich erneut nach Doha zu meiner zweiten 50 km-WM. Meinen Einzelerfolg vom Vorjahr konnte ich nicht wiederholen. Doch diesmal war ich Teil eines Männerteams. Wir erreichten gemeinsam in der Teamwertung den 3. Rang und wurden mit der Bronze-Medaille belohnt. Das übertraf meinen Erfolg aus dem Jahre zuvor. Ich war zufrieden, doch ich spürte immer noch dieselbe Unruhe wie nach meinen (Halb-)Marathonläufen. Ich wollte nun auch auf den 100km erfolgreich sein und meinem Traum näher kommen. Also startete ich einen zweiten Versuch.
2017 ging ich in Berlin mit Heimvorteil an den Start meiner zweiten Deutschen Meisterschaft über 100km. Ich hatte zwar schon mehr Erfahrung als im Vorjahr, ich musste jedoch einsehen, dass auch eine fast perfekte Vorbereitung kein Erfolgsgarant ist, wenn man nicht ausgeruht an den Start geht. Mein Studienabschluss hatte viel Kraft gekostet. Diese fehlte mir ab km 75 und so beendete ich das Rennen vorzeitig.
Seitdem habe ich viel nachgedacht und ich habe einiges geändert. Nicht an meinem Training, sondern in meinem Kopf. Ich spüre immer noch diese Unruhe und ich möchte auch wieder 100km laufen. Doch ich gehe nun anders an einen Wettkampf heran. Ich möchte meinem Körper nicht vorgeben, in welcher Geschwindigkeit er die 100km zu absolvieren hat, damit ich am Ende meinen Traum mit einer WM-Teilnahme verwirklichen kann.
Ich werde ab jetzt meinen Erfolg nicht an der Zielzeit festmachen, sondern an dem Gefühl, was ich dabei empfinde. Ich möchte auch nicht erst dann glücklich sein, wenn ich ein definiertes Ziel erreicht habe. Ich bin inzwischen glücklich, wenn ich den ersten Schritt in Richtung meines Traumes gegangen bin. Ob ich den Traum verwirklichen werden kann, das ist eine andere Frage. Ich habe also nicht meine Zielstellung geändert, sondern nur die Art und Weise — also die Qualität wie ich meinen Weg bestreite und dabei steht die Zufriedenheit und der Rhythmus meines Körpers im Vordergrund.
Ich habe gelernt mit meiner Unruhe umzugehen und sie mir als Antrieb zum richtigen Zeitpunkt zu Nutzen zu machen. Ich laufe nun jeden Tag mit dem Ziel, Glücklich zu sein, bei dem was ich tue — in jedem Moment und eine Ausgeglichenheit nicht erst in der Zukunft zu erzielen.
Zuletzt habe ich die Berlin-Brandenburgische Meisterschaft über 100km gewonnen. Dabei habe ich erneut gespürt, dass die 100km-Distanz diejenige Strecke ist, die mich am meisten reizt und bei der ich am meisten Leidenschaft empfinde. Meine erzielte Zeit von 7:43:54 Stunden hat nicht gereicht, um mich für die Weltmeisterschaft zu qualifizieren. Doch im Verlauf der Wettkampfvorbereitung und im Wettkampf selbst habe ich sehr viel gelernt.
Ich bin bereits jetzt glücklich und zufrieden. Das Leben erfüllt mich und das Laufen ist weiterhin auch nach meinem Studium neben meiner beruflichen Tätigkeit ein großer und fester Bestandteil. Jeden Tag spüre ich das Glück, das mich erfüllt. Mein Traum von den 100km bleibt weiterhin bestehen. Doch an diesem Traum hängt nicht mehr mein Glück und meine Zufriedenheit. Ich bin einfach gespannt, was ich in der Zukunft erleben werden. Ich habe gelernt, dass man das Verwirklichen eines Traumes nicht planen kann.