Der diesjährige Oberelbe-Marathon stand ganz im Zeichen des Aprilwetters. Eine ordentliche Kaltfront zog aus der Polarregion über Deutschland hinweg und bescherte den Läuferinnen und Läufern bei der 19. Auflage des Marathons von Königstein nach Dresden nicht nur eisige Temperaturen, sondern einen ununterbrochenen strammen Gegenwind aus Westen. Bei 3 Grad und Graupelschauer fiel der Startschuss um 9:25 Uhr am Fuße der Festung Königstein mitten im Elbsandsteingebirge. Nach meinem Streckenrekord im letzten Jahr, wollte ich unbedingt auch in diesem Jahr an den Start gehen. An der Spitze formierte sich auf dem ersten Kilometer ein Quartett, das aus dem Ukrainer Viktor Starodubtsev, der 2014 den Lauf gewonnen hatte, Joseph Kibunja aus Kenia, Marc Schulze aus Dresden und mir bestand. Nach dem ersten Einrollen, zog Marc das Tempo an und der Ukrainer ging sofort mit. Ich hielt mich etwas zurück, wohlwissend, dass ich mich erst seit vier Wochen im Training befinde, nachdem ich mich drei Wochen von der DM über 50km erholt hatte. Joseph wäre bestimmt auch mitgegangen, doch er verriet mir am Vorabend, dass ihn eine Verletzung in den letzten Wochen behinderte und er darauf Rücksicht nehmen musste. Er war nach Deutschland gereist, um als Guide seinen erblindeten Freund Henry Wanyoike in Hannover vor zwei Wochen über die Marathon-Distanz zur Paralympic-Qualifikation zu führen. Dieses Ziel konnten die beiden leider nicht erreichen, weil Henry auch von einer Verletzung ausgebremst wurde. Nun wollte Joseph seinen ersten Marathon seit neun Jahren ohne Henry bewältigen.
Zunächst blieb ich dem Ukrainer und Marc noch auf Tuchfühlung, doch schnell musste ich feststellen, dass die beiden den profilierten Abschnitt der Strecke viel zu ungestüm angingen, um das Tempo bis ins Ziel zu halten. Einen 5-km-Abschnitt liefen sie in unter 16:30min. Ich staunte sehr als der Ukrainer noch weiter forcierte. Ich befand mich zu diesem Zeitpunkt ca. 30 Sekunden dahinter. Wenig später staunte ich erneut, als der Ukrainer sich am Streckenrand auf den Boden gehockt hatte. Das war das letzte Mal, dass ich ihn sah. Nun spitzte sich das Rennen auf einen Zweikampf zu. Ich versuchte ganz langsam Marc näher zu kommen. Doch bis zum Eingang in die Altstadt von Pirna konnte ich den Abstand nur auf knapp 20 Sekunden verkürzen. Durch die Führungsradfahrer wurde ihm der aktuelle Abstand durchgegeben, ohne dass er sich umdrehen musste. In Pirna machte ich etwas Druck. Doch es waren immer noch 15 Sekunden. Dabei blieb es zunächst. Ich entschied mich dazu, die Lücke nicht mit einem Zwischenspurt zu schließen. Bei dem harten Gegenwind wäre das sicherlich keine gute Idee gewesen. Die Halbmarathonmarke passierte ich nach 1:12:45 Stunden. Nun begann der unangenehme Teil der Strecke: der Wind blies über die offenen Felder nun immer kräftiger entgegen. Die Kilometerzeiten wurden zwangsläufig langsamer. Bei Marc und in gleichem Maße auch bei mir. Es verhielt sich, als ob ein imaginäres Gummiband zwischen uns gespannt war. Der Abstand pendelte zwischen 20 und 30 Sekunden. Kurz vor dem blauen Wunder versuchte ich es noch einmal. Ich kam noch einmal auf 10 Sekunden heran. Doch das waren in unserem Tempo eben fast 50 Meter. Kurze Zeit später fiel die Entscheidung. Der Gegenwind hatte seine volle Stärke erreicht. Ich verlor die wichtige Lockerheit und verkrampfte etwas. Der Schritt war nun nicht mehr so flüssig, die Frequenz ging runter und ich wurde langsamer. Ich wollte es nicht mit der Brechstange versuchen und musste mich selbst daran erinnern, dass ich erst seit vier Wochen wieder trainierte. Das reichte eben nicht, um an diesem Tag mit Marc auf den letzten 7km mitzuhalten. Also konzentrierte ich mich auf den Kampf gegen den Wind. In der Ferne waren nun die Brücken und Türme der Altstadt zu sehen. Ich freute mich auf das Terassenufer unterhalb der Semperoper. Nun hatte ich es geschafft. Ein Marathon bleibt ein Marathon. Immerhin sollte ich unter 2:30 Stunden bleiben. Kurz vor dem Stadion hörte ich Marcs Zielankunft. Er war heute der Stärkere von uns beiden und hat verdient gewonnen — er hat sich dafür meinen Respekt verdient und war mir im Marathon-Duell und vor allem im Kampf gegen den Wind überlegen. Nach 2:29:15 Stunden lief ich über die Ziellinie. Ich war glücklich und geschafft, gratulierte Marc und verschwand unter der warmen Dusche.
Es war wieder mal ein tolles Erlebnis. Uwe Sonntag und das gesamte Team der Organisation des Oberelbe-Marathons haben sich wieder einmal selbst übertroffen. Damit liegt die Messlatte für die 20. Austragung im nächsten Jahr sehr hoch. Ich wäre sehr gerne bei diesem Jubiläums-Marathon dabei, denn die Marathon-Erlebnisse an der Elbe sind einmalig. Und vielleicht ist das Wetter dann auch in Jubiläumsstimmung.