Heute habe ich mich selber überrascht. Der Lauf fühlte sich an, als wenn alle Zahnrädchen, die ich zusammengebaut hatte, zusammenpassen und ein optimal funktionierendes System würden. Es lief einfach. Ich flog dem Ziel entgegen. Die Schritte kamen mir leicht vor. Ich hatte hinten raus genug Luft, um mich noch zu steigern und einen langen Endspurt anzusetzen. Dieses Gefühl kenne ich zwar sehr gut aus dem Training. In wichtigen Wettkämpfen habe ich mich in der Vergangenheit aber immer wieder selbst so sehr unter Druck gesetzt bzw. setzen lassen, dass ich mich selbst eher ausgebremst habe. Bei den Berlin-Brandenburgischen Halbmarathon-Meisterschaften, die im Rahmen des Mercedes-Benz-Halbmarathons in Berlin-Reinickendorf ausgetragen wurden, konnte ich das Rennen nach meinen Wünschen gestalten. Das kam mir entgegen und gelang mir viel besser, als ich vermutet hatte, und so konnte ich meiner Leidenschaft freien Lauf lassen.
Mein Ziel vor dem Rennen war der erste Sieg bei Landesmeisterschaften in der Hauptstadt. Ich hatte dem Wettkampf mit Freude entgegen geblickt. Die abwechslungsreiche Strecke zwischen dem Rathaus Reinickendorf und der Uferpromenade von Tegel, war mir bekannt. 2009 war ich bereits gestartet. Damals kam ich nach 1:15:20 Stunden ins Ziel gelaufen. Seitdem ist viel passiert. Aus einem ambitionierten Jogger ist ein Läufer geworden, der dabei ist seine Träume zu verwirklichen. Mein wichtigster Begleiter: Meine Leidenschaft. Und die folgte mir heute Schritt für Schritt. Nachdem ich nach dem Passieren des zweiten Kilometers alleine war, hätte ich mir mehr Konkurrenz gewünscht. Es fiel mir aber nicht schwer, ein schnelles Tempo aufzunehmen. Diese Situation kannte ich ja von mehreren Volksläufen in der Vorbereitung auf meinen Jahreshöhepunkt. Die erste Hälfte kam mir heute locker und leicht vor. Bei fast optimalen Bedingungen absolvierte ich die 10 Kilometern in ca. 32 Minuten und 20 Sekunden. Ich spürte, dass ich genug Kraft und vor allem Lust hatte, die zweite Runde einen Gang höher zu schalten. Auf meine Uhr schaute ich dabei nicht. Die X-Kross saß nach einem letzten Feintuning speziell für dieses Rennen bei meinem Brillenspezialisten Damm Brillen perfekt auf der Nase. Und da kam es wieder dieses besondere Kribbeln — dieses Kribbeln, als ob ich am liebsten um die ganze Erde laufen würde. Dass “Leidenschaft immer siegreich ist” hatte ich in der Zeit des Fußballspielens mit den Kreuzbuben der Kreuzkirchengemeinde in Wilmersdorf gelernt. Inzwischen habe ich mich auf den Langstreckenlauf konzentriert. Aber ich trage diese Leidenschaft weiterhin in mir. Ich habe ein Team, was mich Tag für Tag unterstützt und auf das ich mich verlassen kann. Nun wollte ich es wissen. Ich beschleunigte und wollte auf den letzten 6 Kilometern meine positiven Emotionen auskosten. Ich flog an den 10-Kilometer-Läuferinnen und -Läufern vorbei. Ein paar Halbmarathonis hatte ich auch schon eingesammelt. Die Polizei war schwer damit beschäftigt, mir den Weg frei zu räumen. Nach der Schneckenbrücke über die S-Bahnstrecke waren es nur noch 4 Kilometer. Ich rechnete kurz und wusste, dass ich wirklich im Bereich meiner Bestzeit aus dem April in Dresden unterwegs war. Jetzt war ich endgültig heiß. Nach einer Passage im Gegenwind, einer Punktwende und einem Kopfsteinpflasterstück setzte ich zum langen Endspurt an. Als ich auf die Zielgerade einbog und auf die Uhr schaute, wusste ich sofort, dass es neben einem neuen Streckenrekord auch zu einer neuen Bestzeit reichen würde. Diese lautet nun 1 Stunde 7 Minuten und 50 Sekunden. Neben dem Meistertitel für Berlin und Brandenburg habe ich mit dem Erfolg gleichzeitig auch den Sieg des Berliner Läufer-Cups perfekt gemacht.
Damit werde ich mich für drei weitere Wochen in mein Trainingslager nach Oberstdorf aus Berlin verabschieden. Nach diesem Tag werde ich in der aktuellen Deutschen Bestenliste einen Platz unter den Top 25 Läufern belegen. Das verschafft mir ein wenig Rückenwind, den ich sehr gerne auf die nächste Etappe Richtung Marathon-DM zu nutzen weiß.