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Niels Bubel - München Marathon 2014

Es war der wich­tigs­te Tag des Jah­res für mich als Lang­stre­cken­läu­fer. Zum drit­ten Mal in Fol­ge stand ich bei den Deut­schen Ma­ra­thon-Meis­ter­schaf­ten am Start. Bis zu­letzt war ich et­was er­staunt, dass kaum Span­nung auf­kam. Ich war un­ge­wöhn­lich lo­cker und zu­ver­sicht­lich. Das war aber auch kaum ver­wun­der­lich. Der Aus­tra­gungs­ort Mün­chen war mir aus den letz­ten bei­den Jah­ren wohl be­kannt. Ich war mir si­cher, dass es mir bes­ser als Im Ok­to­ber 2013 er­ge­hen wür­de, wo ich nach 28 km mit Ma­gen­pro­ble­men aus­stei­gen muss­te. Und ich war mir si­cher, mei­ne Best­zeit (2:26:42h) aus dem Jahr 2012 zu ver­bes­sern. Hin­zu kam auch, dass die Tat­sa­che, an der Start­li­nie zu ste­hen, al­lei­ne schon ein klei­ner Er­folg war. Nach ei­ner in­ten­si­ven Vor­be­rei­tung, die in Oberst­dorf im All­gäu, wo ich im Wald­ho­tel per­fekt ver­sorgt war, wie ge­plant ver­lief, konn­te mein Kör­per vier Tage vor dem Ren­nen eine Er­käl­tung nicht mehr ab­hal­ten. Das Trai­ning war zwar ab­ge­schlos­sen, aber es war bis 24 Stun­den vor dem Start­schuss un­klar, ob ich recht­zei­tig wie­der so­weit ge­sund wer­den wür­de, um ei­nen Ma­ra­thon durch­zu­ste­hen. Erst jetzt in mei­ner Sai­son­pau­se, ei­ni­ge Wo­chen da­nach, schrei­be ich mei­ne Ein­drü­cke nie­der und stel­le fest, wie auf­re­gend das Ren­nen war, was ich dazu ge­lernt und für ei­nen wei­te­ren Schritt nach vor­ne ge­macht habe.

Eine hal­be Stun­de vor dem Start streif­te ich mein vor­be­rei­te­tes Tri­kot mit der Start­num­mer 68 über. Jetzt kam sie doch die Wett­kampf­auf­re­gung. Das be­son­de­re Krib­beln im Bauch, die An­span­nung in der Mus­ku­la­tur und die Ner­vo­si­tät im Kopf. “Wie wird sich das Ren­nen ent­wi­ckeln? Bin ich noch an­ge­schla­gen oder kann ich mit um eine Me­dail­le kämp­fen?”, frag­te ich mich. Selbst­ver­trau­en hat­te ich mit dem Deut­schen Meis­ter­ti­tel über 50km im Früh­jahr und den Wett­kämp­fen über das gan­ze Jahr hin­weg aus­rei­chend ge­tankt. Doch je­des Ren­nen ist an­ders und alle wol­len aufs Trepp­chen. Ich freu­te mich auf die Stre­cke und nahm mir vor ru­hig an­zu­ge­hen. Ich konn­te ohne Pro­ble­me aus der ers­ten Rei­he star­ten und reih­te mich hin­ter To­bi­as Schreindl und ei­nem Rus­sen ein, der nicht an der Meis­ter­schafts­wer­tung teil­nahm. Nach dem ers­ten Ki­lo­me­ter for­cier­ten die bei­den al­ler­dings das Tem­po. Ich lief nun in der Ver­fol­ger­grup­pe zu­sam­men mit To­bi­as Gröbl, To­bi­as Sau­ter, Da­ni­el Ybe­kal, Be­ne­dikt Hoff­man, Hol­ger Freu­den­ber­ger, Do­mi­nik Fa­bia­now­ski und Chris­ti­an Schmitz. Der Ab­stand auf die bei­den Füh­ren­den wuchs im­mer wei­ter. Die Fünf-Ki­lo­me­ter-Mar­ke pas­sier­ten wir nach 16:53 Mi­nu­ten. Ich fühl­te mich viel bes­ser als vor ei­nem Jahr und nahm zu­ver­sicht­lich die ers­te Fla­sche von mei­nem Trai­ner ent­ge­gen. Es roll­te. Es mach­te Spaß. Das Tem­po war nicht hoch und für mich ge­nau rich­tig. Im­mer wie­der ging mal je­mand an­de­res nach vor­ne. Die meis­te Füh­rungs­ar­bei­tet leis­te­te aber To­bi­as Sau­ter, der sich mit ei­nem Come­back zu­rück in der deut­schen Ma­ra­thon­spit­ze zei­gen woll­te. Ob­wohl es im Eng­li­schen Gar­ten leicht berg­ab ging, wur­de un­se­re Grup­pe zu mei­ner Ver­wun­de­rung eher lang­sa­mer als schnel­ler. Bei Ki­lo­me­ter neun star­te­te Da­ni­el Ybe­kal ei­nen An­tritt. Ich hielt mich wei­ter­hin bei den an­de­ren in der Grup­pe auf. Es war noch ein lan­ger Weg. Den nörd­lichs­ten Punkt der Stre­cke bei der 10km-Mar­ke pas­sier­ten wir nach 33:53 Mi­nu­ten. Nun ging ich ab und zu auch mal nach vor­ne. Bis Ki­lo­me­ter 20 än­der­te sich nicht viel. Die drei Füh­ren­den la­gen au­ßer Sicht­wei­te. To­bi­as Schreindl hat­te sei­nen Vor­sprung zwi­schen­zeit­lich auf über 2 Mi­nu­ten aus­ge­baut. War sein Vor­sprung un­ein­hol­bar oder hat­te er sich über­nom­men? Auf je­den Fall woll­te ich das Tem­po nicht ver­bum­meln und setz­te mich kurz nach der Hälf­te der Stre­cke an die Spit­ze der Ver­fol­gungs­grup­pe. Gleich­zei­tig über­hol­ten wir den Rus­sen Va­dim Droz­dov, der zu­rück­fiel. Nun ging al­les re­la­tiv schnell: be­dingt durch eine Un­ter­füh­rung un­ter den Bahn­glei­sen wur­de ich schnel­ler. Die an­schlie­ßen­de Stei­gung nahm ich recht schwung­voll. Kurz vor der nächs­ten Ver­pfle­gungs­stel­le sah ich Da­ni­el Ybe­kal. Bei der Auf­nah­me sei­ner Fla­sche hat­te er ein Pro­blem und kehr­te so­gar ein paar Me­ter um. Un­ver­hoff­ter Wei­se lag ich plötz­lich auf Platz zwei. Auch ohne es be­wusst zu steu­ern gab mir die­se Ent­wick­lung des Ren­nens ei­nen Kick und ich wur­de schnel­ler. So schnell, dass nur noch ein an­de­rer Läu­fer dran blieb. Es war Do­mi­nik Fa­bia­now­ski vom ASV Köln. Den nächs­ten 5-Ki­lo­me­ter-Ab­schnitt bis zur 25 Ki­lo­me­ter-Mar­ke ab­sol­vier­ten wir in 16:36 Mi­nu­ten. 1 Stun­de und 24 Mi­nu­ten wa­ren bis­her ver­gan­gen. Auch die nächs­ten Ki­lo­me­ter än­der­te sich die Renn­si­tua­ti­on erst­mal nicht. Im­mer ich vor­ne weg. Do­mi­nik in mei­nem Wind­schat­ten hin­ter her. Die Renn­lei­tung in­for­mier­te uns, dass wir nun den Ab­stand auf To­bi­as Schreindl ver­rin­gern wür­den. Das mo­ti­vier­te un­ge­mein. Bei Ki­lo­me­ter 30 hat­ten wir selbst ei­nen Vor­sprung von über ei­ner Mi­nu­te auf die Grup­pe, die ich ge­sprengt hat­te. 16:22 Mi­nu­ten stopp­te ich für die Stre­cke zwi­schen Ki­lo­me­ter 25 und 30. Kur­ze Zeit spä­ter aber dann das: ein Zu­cken im rück­wär­ti­gen Ober­schen­kel, ein leich­ter Krampf — eine War­nung des Kör­pers. Ich be­kam erst ei­nen Schreck, dann hoff­te ich, dass es nur eine vor­über­ge­hen­de Er­schei­nung war. Es wa­ren im­mer­hin noch über 10km bis ins Ziel. Ich ver­such­te, den Schritt kür­zer zu zie­hen. Doch im­mer wie­der be­gann die Mus­ku­la­tur zu kramp­fen. Es wa­ren wohl die Aus­wir­kun­gen des In­fek­tes. Noch wei­te­re 5 Ki­lo­me­ter konn­te ich das Tem­po un­ter 3:30 Mi­nu­ten pro Ki­lo­me­ter (17:14 Mi­nu­ten) hal­ten. Kurz vor Ki­lo­me­ter 35 lief dann To­bi­as Sau­ter von hin­ten auf Do­mi­nik und mich auf. An­stel­le aber dem Stra­ßen­ver­lauf an ei­ner recht­wink­li­gen Kreu­zung zu fol­gen, nahm er den di­rek­ten Weg über eine Geh­weg­in­sel und setz­te sich, ohne dass er wirk­lich an uns vor­bei­ge­lau­fen war, mit ei­nem klei­nen Ab­stand vor mich. Das är­ger­te mich. Nach ei­ner un­ebe­nen Kopf­stein­pflas­ter­pas­sa­ge, die kurz da­nach folg­te, ver­stärk­ten sich mei­ne Krämp­fe. Mein Schritt wur­de kür­zer. Ich wur­de lang­sa­mer. Ich ver­such­te da­ge­gen­zu­hal­ten. Do­mi­nik war aber stär­ker und zog an mir vor­bei. Das war bit­ter. Ich muss­te die Zäh­ne zu­sam­men bei­ßen. In­ner­halb von we­ni­gen Mi­nu­ten war ich von Platz zwei auf Platz vier zu­rück­ge­fal­len. Mir war be­wusst, dass ich nun auf­pas­sen muss­te. Es wa­ren noch rund 6 Ki­lo­me­ter bis ins Olym­pia­sta­di­on und Zeit ge­nug, dass ich wei­ter Plät­ze ein­bü­ßen wür­de. Doch ich dach­te po­si­tiv. Ich woll­te mei­ne Best­zeit stei­gern. Auch wenn ich furcht­bar aus­ge­se­hen ha­ben muss, war die Un­ter­stüt­zung mei­ner Freu­ding, mei­ner Fa­mi­lie und mei­nes Trai­ners, der al­les vom Rad aus ver­folg­te nun un­glaub­lich wich­tig. Bei Ki­lo­me­ter 38 dann die Nach­richt von ei­nem Kampf­rich­ter: „Du liegst der­zeit auf Platz 3!“ Ich konn­te es nicht glau­ben. Was war ge­sche­hen? To­bi­as Sau­ter hat­te aus ir­gend­wel­chen Grün­den, die ich bis heu­te nicht ge­nau weiß, die aber et­was mit Ab­kür­zen der Stre­cke und mit dem Über­hol­vor­gang, an dem Do­mi­nik und ich be­teilgt ge­we­sen wa­ren, zu tun ha­ben, die rote Kar­te ge­se­hen und war da­mit dis­qua­li­fi­ziert wor­den. Mei­ne Qua­len schie­nen nun plötz­lich et­was er­träg­li­cher zu sein. Mei­nem Emp­fin­den nach konn­te ich mit der Bron­ze­me­dail­le, die nun wirk­lich zum Grei­fen war, bis Ki­lo­me­ter 40 et­was mehr Druck ma­chen. Ich be­fand mich nun mit­ten in mei­nem per­sön­li­chen Ma­ra­thon-Kri­mi. Das Sta­di­on war noch nicht in Sicht. Es war aber nicht mehr weit. Doch ich wur­de ge­jagd. Die Nach­richt der Di­qua­li­fi­ka­ti­on hat­te sich wohl her­um­ge­spro­chen. Zu­erst ka­men Hol­ger Freu­den­ber­ger und di­rekt da­hin­ter Da­ni­el Ybe­kal von hin­ten an­ge­flo­gen. Ich hat­te nichts da­ge­gen­zu­set­zen. Die Me­dail­le war nun wirk­lich futsch. Ich konn­te mir wirk­lich nicht vor­stel­len, noch eine ver­steck­te Ra­ke­te zu zün­den. Mein letz­ter Ge­dan­ke war nur noch die neue Best­zeit. Zu mei­ner Über­ra­schung hat­ten bei Ki­lo­me­ter 41 die Kin­der mei­nes Trai­ners mit Krei­de eine Auf­mun­te­rung auf den Asphalt ge­malt. Der rich­ti­ge Punkt, um mei­nen be­schei­de­nen End­spurt zu star­ten.

Nach 2 Stun­den und 24 Mi­nu­ten lief ich durch das Ma­ra­thon­tor. Nach 2 Stun­den 25 Mi­nu­ten und 14 Se­kun­den hat­te ich die Ziel­li­nie er­reicht: neue Best­zeit. Ich war er­leich­tert, er­schöpft und konn­te mich nicht mehr auf den Bei­nen hal­ten. Nicht weit vom Sie­ger To­bi­as Schreindl ent­fernt fiel ich zu Bo­den. Auch Do­mi­nik, Hol­ger und Da­ni­el muss­ten sich von dem Ma­ra­thon erst­mal er­ho­len. Ich kroch an die Ban­de und zog mein nas­ses Tri­kot aus. Ich kann euch sa­gen: ein wirk­lich be­son­de­rer Mo­ment, wenn man di­rekt nach dem Ma­ra­thon mit­ten im rie­si­gen Olym­pia­sta­di­on auf dem Bo­den hockt und den Son­nen­schein auf der nack­ten Haut ge­nie­ßen kann. Ich war ganz in mir ver­sun­ken, fühl­te eine ge­wis­se Leich­tig­keit in mir, ob­wohl ich kaum Kraft hat­te, mich auch nur ei­nen Zen­ti­me­ter zu be­we­gen. Es war wie beim Ab­spann nach ei­nem er­grei­fen­den Film im Kino. Man ist noch ganz ge­fes­selt, in ei­ner an­de­ren Welt und doch ist ei­nem be­wusst, dass es zu Ende ist. Doch im Un­ter­schied zum Kino-Thril­ler war ich bei mei­nem Ma­ra­thon-Kri­mi nicht nur Zu­schau­er ge­we­sen. Ich war ei­ner der Haupt­dar­stel­ler und bei den ge­fähr­li­chen Ac­tion­sze­nen wur­de ich nicht durch ein Dou­ble er­setzt. Es war al­les ganz real und da­für war ich dank­bar. Dank­bar für die Un­ter­stüt­zung mei­nes Teams. Für die Auf­op­fe­rung mei­nes Trai­ners. Für die Lie­be mei­ner Freun­din und für die Be­stär­kung durch mei­ne Fa­mi­lie und Freun­de. Das al­les, zu­sam­men mit der Hil­fe mei­ner Spon­so­ren, hat dazu ge­führt, dass ich trotz Fra­ge­zei­chen am Start, das Ziel am ent­schei­de­nen Tag er­rei­chen konn­te. Die Mün­chen Trio­lo­gie ist da­mit ab­ge­schlos­sen. Ich bin ge­spannt wo mein Weg als Ma­ra­thon­läu­fer sei­ne Fort­set­zung fin­den wird. Auf je­den Fall freue ich mich dar­auf. Ein Kreis hat sich in Mün­chen ge­schlos­sen. Al­lein schon mei­ne Lei­den­schaft, die in mir beim Lau­fen auf­kommt, ist die in­ten­si­ve Vor­be­rei­tung wert und es hat sich in mei­nem Emp­fin­den wie­der be­wahr­hei­tet, dass der Sieg ei­ner Me­dail­le für mich nicht die Vor­aus­set­zung da­für sein muss, dass ich glück­lich bin.

Er­geb­nis­se